Impressionen ISRAEL 2019 — eine Mitreisende berichtet

Wie bitte, das soll der Jordan sein? Den hatte ich mir aber größer, klarer, beeindruckender vorgestellt! Im Ernst, als Israel-Tourist muss man auf einige Überraschungen gefasst sein. Und manches lässt sich mit einer europäisch geprägten Durchschnittsbildung so gar nicht vereinbaren. Einige sehr persönliche Eindrücke von der Oktoberreise 2019 durchs Heilige Land.

Millionen an der Klagemauer

Beispielsweise Jerusalem: Karl-Heinz Ritzel von zusammenspiel.de hatte ausgerechnet die Zeit des jüdischen Laubhüttenfestes Sukkot für unseren Besuch der spannenden Metropole erwählt. Dies bedeutet für viele Juden aus allen Ländern der Welt, hier mit ihren Familien zusammentreffen zu wollen. Also strömen an diesen Tagen insgesamt 2,5 Millionen Juden an die Klagemauer – und unsere kleine Gruppe mittendrin. Es ist ein zivilisiertes Geschiebe, alle müssen durch die Metallsuchschleusen, um mögliche Waffen entdecken zu können. Trotz der Massen rundum berührt die Andacht, mit der einzelne Gläubige hier beten, innig die Mauer berühren. Die Straßen sind geprägt von orthodoxen Juden, die zumeist als Familie auftreten: Männer mit schwarzen Hüten und schwarzen Mänteln, die Jungen tragen lange Schläfenlocken und eine kleine Kippa auf dem Hinterkopf, die Frauen haben sich schick gemacht mit Kleid, Make-up und Langhaarfrisur. 

Palmwedel auf dem Dach 

Überall sind sogenannte Laubhütten aufgebaut, die an den Auszug aus Ägypten und die Reise durch die Wüste erinnern sollen: Heute sind dies oft Gartenpavillons mit Palmwedeln auf dem Dach. Während auf dem Land die schlichte Innenausstattung nur aus Tisch und Bänken besteht, schmückt man die Hütten vor Jerusalemer Restaurants aber auch gern mit Weihnachtsdeko aus Girlanden und Lichterketten.

Früh wird es dunkel, die Temperatur liegt bei warmen 26 Grad – und die Straßen bleiben voll, die Geschäfte geöffnet. Die Lokale platzen aus allen Nähten, auf jedem Platz gibt es religiöse Musik: Junge Musiker spielen Hava Nagila und begeisterte Zuhörer finden sich zum spontanen Rundtanz. Eine Ecke weiter hat sich ein Chor aus Korea aufgebaut und singt inbrünstig ein unbekanntes Lied, zu dem aber jeder irgendwie mitsummen kann. 

Der Hammer aber dröhnt ausgerechnet unter unserem Hotelfenster: Auf der Bühne spielt eine Rockband von orthodoxen Juden, laut, rhythmisch, mitreißend, der betagte Sänger mit weißem Rauschebart greift zur Querflöte, davor ein begeisterter Pulk von Tänzern – alles Männer, mancher mit Sohn auf den Schultern, mancher mit Fahne in der Hand, alle immer rundherum, es ist eine Wonne zuzuschauen, mitzuwippen, zu staunen. 

„Ich glaube, hilf meinem Unglauben“ heißt die Jahreslosung 2020 der evangelischen Kirche – dieser Gedanke gewinnt bei der Reise durchs Heilige Land ständig wechselnde Bedeutung. Das gilt für die unbändige Feierlaune der orthodoxen Juden, die ich dieser Glaubensgruppe so gar nicht zugetraut hätte. 

Andächtig und herzensfroh

Gleichermaßen staunend standen wir auch in Qasr al-Yahud am Jordan, wo Jesus von Johannes getauft worden sein soll. Wie erwähnt, ist der Jordan an dieser Stelle zu einem schlammigen Bach geschrumpft. Und doch finden sich ganze Busladungen von gläubigen Christen aus aller Welt, die hier die Taufzeremonie nachvollziehen. Jeder für sich, andächtig, herzensfroh. Wer will da kritisch die Stirn runzeln über das touristische Drumherum? Das strahlende Glück in den Augen der Täuflinge wiegt viel schwerer. Wieder etwas gelernt. 

Oder auch in Nazareth: Mitten in der Altstadt liegt unser Hotel. Das Haus ist 150 Jahre alt, man sieht es ihm an. Hergefunden haben wir nur durch die Hilfsbereitschaft eines arabischen Passanten. Denn Navi und Karte hatten längst kapituliert, also wurde ein Fußgänger um Auskunft gebeten. Dieser quetschte sich mit auf den Beifahrersitz, um uns eine Viertelstunde lang durch steile Gässchen zu lotsen. Endlich angekommen ist es eine fußläufige Entfernung zur Verkündigungskirche, wo Maria vom Engel erfahren haben soll, dass sie den Heiland gebären wird. Allerdings gibt es gleich zwei dieser Gedenkstätten: das Gotteshaus der orthodoxen Kirche, umgeben von arabischen Kneipen mit durchdringender Diskomusik.

Fünf Minuten zu spät

Zehn Minuten entfernt die Verkündigungskirche der Katholiken. Sehr groß, sehr feudal, von einem massiven Zaun umgeben. Leider sind wir fünf Minuten zu spät für den Abendgottesdienst. Das Tor ist geschlossen, aus Sicherheitsgründen. Uns bleibt nur der Blick durch die Zaunstäbe. Schade. In der Nacht reißt uns eine klangvolle Stimme aus dem Tiefschlaf: Noch vor dem Morgengrauen ruft der Muezzin zum Gebet. Er singt sehr schön, melodisch und so klar, als stünde er neben unserem Bett. Irgendwann schlafen wir wieder ein. Dann beginnen die Glocken in der Kirche neben uns zu klingen. 

So empfinde ich meinen vorherrschenden Eindruck dieser Israelreise: Judentum, Christentum und Islam haben hier ihre heiligen Stätten. Jede Religion hat ihre Gotteshäuser, ihre Rituale, Festtage und täglich Tausende von Pilgern aus aller Welt. Das alles funktioniert eigentlich wunderbar und respektvoll nebeneinander. So ganz anders, als ich es aus der norddeutschen Ferne her erwartet hatte.  

Sabine Hirte